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“‘Grüne’ Digitalisierung? Ist Digitalisierung nachhaltig(er) machbar?” – Podiumsdiskussion mit Christoph Reithmair und Dr. Thorsten Kellermann
27. Oktober 2020 // 19:00 bis 21:00
Anmeldung für diese Kooperationsveranstaltung siehe unten
Kurzinhalt:
„Digitalisierung“: Feuerwehr oder Brandbeschleuniger? Digitalisierung kann einerseits klimafreundlich sein – im Zuge der Corona-Pandemie beispielsweise traten das Homeoffice und Web-Meetings an Stelle von klimaschädlichen Pendelbewegungen & Dienstreisen per Zug oder Auto. Anderseits sind die CO2-Emissionen durch die Digitalisierung nicht kleinzureden: Eine Stunde Streaming auf Netflix entspricht beispielsweise dem Jahres-Stromverbrauch einer Familie in Tansania. Weitere negative Aspekte sind personalisierte Werbung, die Dominanz weniger großer Unternehmen, Datenmissbrauch und das Verdrängen nicht-kommerzieller Plattformen. Wie können gemeinwohlorientierte Infrastrukturen und Angebote im digitalen Bereich unterstützt werden und somit die Digitalisierung insgesamt demokratischer, nachhaltiger, klimafreundlicher machen? Christoph Reithmair (Geschäftsführer der E-Learning-Agentur ars navigandi) und Dr. Thorsten Kellermann (Stadtrat GRÜNE) geben Impulse zur “grünen” Digitalisierung und beantworten anschließend die Fragen des Publikums.
Weitergehende Infos zum Thema des Abends:
„European Green Deal“: 1,8 Billionen Euro umfassen die Finanzen der EU 2020-2027; 750 Milliarden Euro davon für das Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Corona-Krise und zum „Umbau in eine digitalere und klimafreundlichere Wirtschaft“. Ähnlich die Bundesregierung: „Corona-Schutzschild“ 350 Milliarden Euro, Investitions-Schwerpunkte: „Digitalisierung“ und „Klimaneutralität 2030“.
Aber: Weder EU-Kommission noch „Digitalkabinett“ der Bundesregierung lassen erkennen, dass und wie beides zusammen hängt: „Digitalisierung“ bedeutet – klimaseitig betrachtet – massiven Ausstoß von CO2-Emissionen aus fossiler Energieerzeugung, mehr als der weltweite Flug- und Kraftfahrzeugverkehr zusammen. Gemessen am Stromverbrauch ist das Internet drittgrößte Nation auf dem Globus, Verdoppelung alle vier Jahre. Die Kryptowährung bitcoin benötigt für eine einzige Transaktion soviel Energie wie neun US-Haushalte. 15,8 Mio. Nutzer abonnierten Netflix im 1. Quartal 2020 neu, doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum 2019 – und ein Stunde netflixen bedeutet den Jahres-Stromverbrauch einer Familie in Tanzania. Und die CO2-Bilanz „wg Corona“: Weniger Flüge, mehr fossile Energie für Video-Konferenzen?
Freie Information, Offenheit, Kommunikation, Vernetzung … Positives verbinden wir mit dem Internet. In den letzten Jahren hat sich das jedoch stark geändert; dieser so wichtige digitale Raum gleicht immer mehr einem „cyberfossilen Raubtierkapitalismus“, einer gigantischen Börse um die kommerzielle Ausbeutung personenbezogener Daten von Milliarden von Nutzern. Viele einst offene Plattformen wurden durch die Kommerzialisierung des Internets unbedeutend – unter den 50 weltweit meistbesuchten Webseiten ist einzig Wikipedia als nicht-kommerzielle verblieben. Personalisierte Werbung, Abschöpfen zukunftsweisender digitaler Geschäftsideen von Start-ups, KI- und Big-Data-Anwendungen werden durch zwei Handvoll IT-Giganten in den USA und China weiter – auch zu Lasten des Datenschutz – dominiert und verdrängen nicht-kommerzielle Unternehmen und Möglichkeiten. Aktuell beobachten wir gar einen „Wirtschaftskrieg“ (auch) um freie Zugänge zu System- und Datennutzung zwischen diesen beiden rivalisierenden Welt-Mächte – und Europa steht außen vor.
Doch „Digitalisierung“ ist weit mehr als „Internet“, Stichworte wie 5G, autonome Autos, Roboter am Krankenbett, KI-Fertigungsstrassen, „Alexa mach mal…“ zeigen dies. Digitalisierung ist vielleicht der prägendste Begriff dieses Jahrhunderts; es geht um eine der weitgehendsten Transformationen des globalen Wirtschaftens und unserer Gesellschaften seit der Industrialisierung. Doch die Folgen dieser Trends sind bisher nur schemenhaft, die Auswirkungen auf unser Zusammenleben, auf Klima und Umwelt zwar spürbar, aber kaum bemessen oder wissenschaftlich erfasst. Auch besteht kein Einvernehmen, ob „Digitalisierung“ in der Klimakrise eher Brandbeschleuniger als Feuerwehr ist, ob insgesamt die (gesellschaftlichen) Vorteile die Nachteile überwiegen.
Langlebig, ressourcensparsam, mit geringem Carbon-Footprint ökologisch vertretbar, gesellschaftlich akzeptiert, offen – mindestens so sollten Infrastrukturen und Anwendungen, Hardware und Software sein, um Digitalisierung stärker nachhaltig zu gestalten. Wie können gemeinwohlorientierte Infrastrukturen und Angebote unterstützt, wie demokratisch(er) werden? Durch Wirtschaft, Politiker und uns Nutzer*innen – nicht als „reduzierte“ Konsument*innen, sondern „pro-aktive“ Mit-Gestalter*innen: Es gilt, den erkannten Prozess der Transformation mit zu formen, die demokratischen Weichen zu einer – auch stärker ökologischen – Ausprägung von „Digitalisierung“ zu stellen, ihn zukunftsfähig zu machen. Noch ist Raum, jetzt die Zeit, die Entscheidungen nicht nur von einigen Wenigen treffen zu lassen, sondern einen partizipativen Weg einzuschlagen und Fehler wie aus der Industrialisierung zu vermeiden.
Jedenfalls, das steht fest, auch „Digitalisierung“ muss klimaneutral und nachhaltig werden. Und wie wär’s mal mit: „Klimaschutz durch Digitalisierung“?! Darüber wollen wir diskutieren; und – wie „Bits&Bäume“ – auch Umwelt- und Klimaschutz verstärkt in den Digitalisierungs-Diskurs von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik tragen.
Zu den Referenten:
Christoph Reithmair
(kritischer) Digitalisierungs-Experte u.a. bei ars.navigandi GmbH, Geschäftsführer Internet-Lösungen (Websites, E-Learning, Nachhaltigkeitsberichte, etc.); Gerade in EMAS-Zertifizierung; zugleich Geschäftsführer OmniCert Consuting GmbH (Umweltmanagementsysteme, Beratung nachhaltige Unternehmensführung, etc.).
Dr. Thorsten Kellermann
Mitglied des Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing (Die GRÜNEN, ehrenamtlich, zugleich Klimaschutzbeauftragter des Bezirksausschusses); stellv. Vorsitzender BUND Naturschutz in Bayern e.V., Kreisgruppe München; Gründer des BN-Landesarbeitskreises „Forum Wirtschaft“.