Zeiten des Umbruchs – Perspektiven einer Ökologie der Zeit (Tagung Tutzing 2024)

Vom 26. bis 28. April 2024 fand in der Evangelischen Akademie Tutzing eine Kooperationsveranstaltung von Akademie und oekom e.V. statt, die im folgenden in Auszügen dokumentiert werden soll. An der Tagung nahmen rund 80 Personen teil. Weitere Informationen zum Programmablauf und Angaben zu den Referierenden finden sich im Tagungsflyer.

DIE ZEIT IST AUS DEN FUGEN
William Shakespeare „Hamlet“

Wir leben in Zeiten des Umbruchs: gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, ökologisch. Die Klimakrise, die Verschmutzungskrise und der weltweite Verlust biologischer Vielfalt sind Beispiele für die tiefgreifende Störung unseres Umgangs mit Natur, der Auswirkungen auf alle Aspekte unseres Lebens hat. All das ist längst bekannt. Doch geschehen ist wenig. Die Folgen des Zögerns und Verzögerns, des Nichthandelns und Nichthandelnwollens werden immer heftiger spürbar. Alles geht weiter – überwiegend in die falsche Richtung.

In dieser Situation haben viele Menschen Angst. Die einen vor zu schnellen und zu weitreichenden Änderungen. Andere haben Angst davor, dass die notwendigen Änderungen nicht schnell und nicht durchgreifend genug kommen. Das Tempo der Transformation wird zum Streitthema – politisch wie für jede:n von uns. Unausgesprochen und unreflektiert wird damit aber auch die Zeit und unser Umgang mit ihr zum Thema.

Die Frage nach dem rechten Zeitmaß stellt sich in vielfacher Hinsicht nicht nur in Bezug auf den gesellschaftlichen Wandel, sondern auch in Bezug auf den Umgang mit der Natur. Allzu sehr haben wir uns daran gewöhnt, Zeit mit Geld und Innovationen mit guten Lösungen gleichzusetzen. Die Monetarisierung von Zeit gemäß der „Zeit ist Geld“-Logik und das damit verbundene reduktionistische Verständnis von Zeit dürfte eine der Ursachen für die Krisen der Gegenwart sein. Das ist die Ausgangsthese unserer Tagung.

Aus einer zeitökologischen Perspektive wollen wir die ökonomische Engführung unseres Verständnisses von Zeit überwinden. Diese Perspektive sensibilisiert für die Bedeutung der Zeitlichkeit und Vielfalt in unserem Leben. Sie macht insbesondere deutlich, wie sehr menschliches Handeln in Naturzusammenhänge eingebettet ist und damit auch eingebettet in die vielfältigen Zeiten der Natur.

Doch Umbruchzeiten sind nicht nur Zeiten hoher Unsicherheiten. Vielmehr tun sich auch neue Möglichkeiten auf. In der Stadtentwicklung wird mit dem Konzept der Schwammstadt der Natur (Starkregen, Hitze) wieder Raum und Zeit gegeben. In der Landwirtschaft lassen agrarökologische Methoden die vielfältigen Rhythmen und Eigenzeiten der Natur fruchtbar werden. In Bezug auf die Welt des Arbeitens, wo es Tag für Tag die unterschiedlichsten Zeiten auszubalancieren gilt, sind wir auf der Suche nach neuen Wegen, die temporalen Anforderungen des Berufs, der Familie, der Partnerschaft und der Sorge für uns selbst besser auszubalancieren. Über allem steht die zentrale Zeit-Frage: Was tun und was lassen wir?

Zeiten der Umbrüche können Zeiten der Hoffnung werden – vor allem der Hoffnung, die vermeintlich guten alten, fossil geprägten Zeiten endlich hinter uns zu lassen. Wir leben in Zeiten des Umbruchs – und das ist gut so!

Tagungsbeiträge

Im folgenden handelt es sich um überarbeitete Fassungen einiger zentraler Vorträge auf der Tagung bzw. anderweitige Texte der Referierende, auf die bei den Präsentationen Bezug genommen wurde.

Judith Kiss
Angst vor zu schnellen Änderungen – Angst vor zu langsamen und nicht genügend starken Änderungen
Diskussionsbeitrag in dem Gespräch mit Eberhard Faust
Quelle: Dennis Eversberg et al.:Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. Forschungsbericht der BMBF-Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss (flumen)“
(Download)

Sabine Hofmeister
Multiple Krisen – Störungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse sind zeitliche Störungen
(Download)

Barbara Adam
Das Anthropozän – eine zeitökologische Perspektive für Zeiten des Umbruchs
(Download)

Fritz Reheis
Vom Lärm des Geldes zur Symphonie des Lebendigen – Plädoyer für eine zeitökologische Weichenstellung
(Download)

Jürgen P. Rinderspacher
Lebenszeit als umweltpolitische Ressource – Zeitinvestitionen für die Umwelt
(Download)

Eva Marlene Hausteiner
Das Potenzial des Dystopischen
(Link)